Manna und Getränkemann
Beginnen wir mit Großmutti. Als wir sie telefonisch bedrängten, einen Ventilator gegen die Höllenhitzetage anzuschaffen - wir brauchen sie noch als dritte Stimme bei Weihnachtsliedern, beim Kartenspielen und für Wichtigeres - lehnte sie ab. Sie habe ihren Getränkemann und der versorge sie. Wie ein fürsorglicher Hausarzt besuche er sie - die Medikamente gegen die Hitze gleich im Auto: Durstlöscher eben. Es ist Zeit für eine Hymne auf unseren Getränkemann. Unser heißt Karlheinz Menklein und fährt die Route mit seinem gelben Getränkelaster wie eben jene selten gewordenen Hausärzte Hausbesuchsrouten fahren: Verlässlich und rettend. Besonders über 28 Grad. Er fährt seine Flaschenfracht an hohen Feldern und tiefen Gräben entlang, auf Bauernhöfe, in Praxen und Privathäuser wie zu uns in der Straße, wo wir gleich mehrere sind, die auf seinen Wagen in der Hitze warten wie der Säugling auf Brust oder Flasche. Und er nimmt uns das einzig Elende am edlen Getränk ab: Das Kisten-Schleppen. Sogar dann, wenn sein Knie durch Fußball verletzt ist. Getränkemänner zählen zu denen, die ein intimes Wissen über den Kunden anhäufen. Die Karlheinz Menkleins dieser Welt wissen genau, wo sie den Kasten abstellen, wenn keiner zu Hause ist. Wissen, wo der Umschlag mit dem Geld zu finden ist. Unser Menklein weiß, wieviel Bier ich wöchentlich und durchschnittlich täglich trinke. Wann ich am neuen Buch arbeite (und weniger Bier konsumiere) und wann ich das neue Buch, mich oder andere feiere und mit dem Bier nicht auskomme. Letzteres sieht unser Getränkemann dann, wenn unter seinen braunen Flaschen auch andersfarbige Kuckucksflaschen in der gelben Kiste stecken. Menschen wie unser Getränkemann könnten Getränkekonsum-Statistiken von uns aufmachen und unserem Hausarzt petzen (den beliefert er auch). Er könnte die Orte für die Briefumschläge mit dem Geld verraten... tut er aber nicht. Er ist Nachfolger jener Wesen, die unsere Vorfahren in der Götterwelt ansiedelten. Aus der kam nämlich das himmlische Manna-Getränk, seinerseits Vorfahre von späterem Met und heutigem Bier, Alster und Radler. Er fährt ein Bier, dessen himmlische Herkunft umso unbestreitbarer ist, je heißer der Tag. Schließen wir mit Großvater. Der Großvater sagte - und das will was heißen, denn er war Geistlicher - er wolle nach seinem Tod freiwillig in Richtung Hölle, wenn es denn wahr sei, daß die Engel alle geschlechtslos seien. Er liebte die Frauen, Ich auch, erweitere seine Aussage aber um das Bier unseres Getränkefahrers. Auf den und seine Fracht hoffe ich im Himmel. Und wenn es das dort nicht gibt, sehe ich Großvater woanders wieder und trinke mit ihm und unserem Getränkemann das Getränk, das vom Himmel stammt.
12. August 2003